Polare Verstärkung des Klimawandels

Was ist Polare Verstärkung und warum ist das wichtig?

Die globale Erwärmung wirkt sich unterschiedlich in verschiedenen Teilen der Erde aus. Das oben gezeigte Bild veranschaulicht die Temperaturänderungen der letzten sechzig Jahre anhand von Erwärmungsstreifen für die Zonen Arktis, Nördliche mittlere Breiten, Tropen, Südliche mittlere Breiten und Antarktis. Man sieht, dass es in allen Zonen seit den 90er Jahren wärmer wird, aber die Arktis erwärmt sich besonders stark. Tatsächlich hat sich die Arktis in den letzten Jahrzehnten zwei- bis dreimal so stark erwärmt wie der Rest der Welt. Diese drastische Klimaänderung wird Arktische Verstärkung genannt, sie hat gravierende Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme und die dort lebende Bevölkerung, sowie auch globale Folgen:   

  • Meeresspiegelanstieg durch das Schmelzen des Grönlandeisschildes und des arktischen Meereises
  • Zunahme der Seeschifffahrt durch den Rückgang des Meereises belastet die Ökosysteme und erhöht Risiken von Umweltschäden (zum Beispiel durch Ölkatastrophen)
  • Tauen des Permafrosts kann verstärkt Treibhausgase freisetzen und den Untergrund destabilisieren. Dadurch können Milliardenschäden an Gebäuden, Straßen, Öl- und Gasleitungen und Industrieanlagen entstehen.

In der Antarktis wird bisher eine verstärkte Erwärmung nur für die Antarktische Halbinsel beobachtet. Insgesamt wirken in der Antarktis vermutlich ähnliche Verstärkungsmechanismen wie in der Arktis, aber der Südozean nimmt einen großen Teil der Wärme auf. Dadurch werden sich die Lufttemperaturen zeitlich verzögert verstärkt erwärmen. Durch den Temperaturanstieg des Ozeans kann sich aber das Wasser unterhalb der Eisschelfe stark erwärmen und dort Eis schmelzen, was zu einem deutlichen Meeresspiegelanstieg beiträgt.

Man geht heute davon aus, dass der Klimawandel in den Polarregionen über atmosphärische und ozeanische Fernverbindungen das Wetter und Klima in Deutschland, Europa und anderen Teilen der Welt beeinflusst, insbesondere Extremereignisse wie beispiels­weise besonders warme oder kalte Winter oder Hitze und Trockenperioden im Sommer.

Aufgrund der globalen Auswirkungen der Polaren Verstärkung ist sie ein Schwer­punkt der Klimaforschung.

Warum gibt es Polare Verstärkung?

Derzeit sind mehrere Prozesse bekannt, die die Arktische Verstärkung antreiben:

  • Boden-Albedo-Effekt:
    Die Abnahme des arktischen Meereises wird als eine der wichtigsten Ursachen für die Arktische Verstärkung gesehen. Die Eisoberfläche reflektiert den größten Teil der einfallenden Sonnenstrahlung direkt zurück in den Weltraum. Dieses Rückstrahlvermögen wird Albedo genannt. Dadurch halten die Polarregionen unseren Planeten auf natürliche Weise kühl. Durch das Schmelzen des Meereises als Folge der globalen Erwärmung wird die dunkle Ozeanoberfläche frei und absorbiert die Sonnenstrahlung. Dadurch wärmt sich der Ozean auf, und mehr Meereis schmilzt. Je mehr sich der Ozean im Sommer aufwärmen kann, umso dünner wird neu gebildetes Meereis im Winter werden und umso schneller kann das neue Meereis wiederum schmelzen.
    An Land spielt die Schneedecke eine ähnliche Rolle. Die Erwärmung führt zu einem früheren Abschmelzen der Schneedecke und die dunkle Bodenoberfläche nimmt mehr Sonnenstrahlung auf und erwärmt sich. Durch die wärmere Oberfläche erwärmt sich die darüber liegende Luft.
Meereis-Albedo. Bild: L. Sanguineti, Universität Bremen
Meereis-Minima in der Arktis (links) und Antarktis (rechts): Die sommerliche Meereisbedeckung des Arktischen Ozeans ist in den letzten 50 Jahren um nahezu die Hälfte zurückgegangen. In der Antarktis wurde im Februar 2022 die niedrigste Meereisbedeckung seit Beginn der kontinuierlichen Satellitenbeobachtungen im Jahr 1979 gemessen. Mehr Infos hier. Bildquelle: meereisportal.de
  • Vertikale Temperatur-Gradienten-Rückkopplung:
    Die Atmosphäre in der Arktis besteht aus stabilen Luftschichten. Die kalte, dichte Luft am Boden mischt sich kaum mit der leichteren Höhenluft. Dadurch ist die Erwärmung in Bodennähe besonders stark, während sie mit zunehmender Höhe geringer ausfällt. Als Folge wird am oberen Rand der Atmosphäre nur wenig Wärme in den Weltraum abgegeben. In den Tropen dagegen kann warme, feuchte Luft ungehindert in die Höhe steigen wie über einem Topf ohne Deckel, in dem Wasser erhitzt wird. Der Topf verliert durch das Verdampfen nach oben hin Wärme und das Wasser erwärmt sich weniger schnell. Die stabile Atmosphäre der Arktis wirkt wie ein Topf mit Deckel, in dem die Wärme gefangen und somit wesentlich schneller erwärmt wird.
Vertikale Temperatur-Gradienten-Rückkopplung. Bild: L. Sanguineti, Universität Bremen
  • Wasserdampf- und Aerosol- Wolken-Wechselwirkungen:
    Wolken können einerseits Sonnenstrahlung reflektieren und dadurch abkühlend wirken, dies spielt in der Arktis vor allem in den kurzen Sommern eine Rolle. Andererseits verhindern Wolken, dass die vom Boden abgestrahlte Wärme ins Weltall entweichen kann und haben dadurch einen Treibhauseffekt. Dieser Erwärmungseffekt der Wolken überwiegt in der Arktis im Jahresmittel, während Wolken in den niederen Breiten abkühlend wirken. Dazu kommt, dass die Erwärmung der Arktis durch Verdunstung mehr Wasserdampf in der Atmosphäre verursacht. Wasserdampf hat einen starken Treibhauseffekt und trägt außerdem zu mehr Wolkenbildung bei. Dadurch wird die Erwärmung weiter verstärkt.
    Zunehmende Aerosolpartikel (flüssige oder feste Schwebeteilchen in der Luft) wie zum Beispiel Ruß durch die zunehmende wirtschaftliche Nutzung der Arktis verstärken ebenfalls die Erwärmung in der Arktis. Rußpartikel in der Luft und auf der Schnee- und Eisdecke reduzieren die Albedo. Durch den Rückgang des Meereises können zudem verstärkt marine Aerosole gebildet werden, die durch Platzen von Luftblasen an der Meeresoberfläche in die Luft gelangen. Außerdem wechselwirken Aerosole mit Wolken- und chemischen Prozessen in der Atmosphäre, die Auswirkungen davon sind noch unbekannt.
  • Planck-Effekt:
    Der Planck-Effekt ist ein Stabilisierungsmechanismus in unserem Klimasystem. Erwärmt sich die Erde, strahlt sie auch mehr Wärme ins kalte Weltall ab, sie kühlt sich sozusagen selbst. Da die Polarregionen so viel kälter sind als die anderen Zonen der Erde, ist die Abgabe von zusätzlicher Wärme weniger effektiv als etwa in den warmen Tropen. So verbleibt relativ betrachtet mehr Wärme in den Polarregionen, was die polare Verstärkung weiter begünstigt.

Woran arbeitet die Forschung?

Aufgrund der globalen Bedeutung der Polarregionen ist es sehr wichtig, die Auswirkungen des Klimawandels in diesen Regionen zu verstehen, auch um realistische Prognosen für die Zukunft stellen zu können. In der deutschen Forschung zur Polaren Verstärkung sind folgende Fragen im Fokus:

Welche Prozesse sind wesentlich für die Polare Verstärkung?

Die relative Stärke der bisher bekannten Antriebe der Polaren Verstärkung, ihre gegenseitigen Wechselwirkungen sowie ihre möglichen Änderungen in einer zukünftig wärmeren Welt sind derzeit noch unbekannt.

Wird die Arktische Verstärkung durch Änderungen in den niederen Breiten angetrieben?

Es wird zunehmend wahrscheinlicher, dass die arktische Verstärkung auch durch Änderungen in niederen Breiten angetrieben wird. Hierbei spielen Einbrüche warmer und feuchter Luftmassen aus den mittleren Breiten in die zentrale Arktis eine wichtige Rolle. Außerdem wird durch Ozeanströmungen mehr Wärme in die Arktis transportiert. Lang­zeitbeobachtungen haben ergeben, dass sich die in den Arktischen Ozean fließenden Strömungen aus dem Atlantik in den vergangenen Jahrzenten deutlich erwärmt haben.

Wann und wie stark wird die Polare Verstärkung in der Antarktis auftreten?

Die starke Aufnahme der „anthropogenen Wärme“ durch den Südozean spielt hier eine entscheidende Rolle. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die tieferen Wassermassen des Südozeans deutlich erwärmt, mehr als fünffach so stark wie der globale Erwärmungstrend im tiefen Ozean. Ein weiterer Hinweis auf eintretende Veränderungen in der Antarktis ist zudem eine Abnahme und Südwärts-Verlagerung der Westwindsysteme über dem Antarktischen Zirkumpolarstrom.

Wie gut können Wettervorhersage- und Klimamodelle die Veränderungen in den Polarregionen abbilden? Welche Entwicklungen sind für die polare Verstärkung im 21. Jahrhundert und darüber hinaus möglich?

Für beide Polarregionen weichen Wetter- und Klimavorhersagen bisher noch teilweise stark von Beobachtungen ab. Modellierer arbeiten derzeit an der realistischen Darstellung wichtiger Faktoren wie zum Beispiel der Boden-Albedo, der Ozeanwirbel und Aerosol-, Wolken- und Niederschlagsbildung. Wechselwirkungsprozesse zwischen Ozean, Meereis, Landeis und Atmosphäre sind sehr komplex. Deshalb ist es wichtig, Ergebnisse aus Modellen systematisch mit kontinuierlichen Messungen von Bodenstationen, Radiosonden, Satelliten und anderen Komponenten des Beobachtungssystems zu evaluieren.

Welche Auswirkungen hat der polare Klimawandel auf das Klima und auf Extremereignisse in den Polarregionen und in den mittleren Breiten – heute und in der Zukunft?

Es wird angenommen, dass Zusammenhänge zwischen der Arktischen Verstärkung und den Windsystemen der mittleren Breiten sowie damit verbundenen Extremereignissen bestehen. Beispiele dafür sind Warmlufteinschübe aus den mittleren Breiten in die Arktis, sowie Kaltluftausbrüche aus der Arktis in die mittleren Breiten. Dies muss mithilfe von Beobachtungsdaten und Modellexperimenten überprüft werden.
Mittlerweile ist klar, dass die Arktische Verstärkung zu einer Abschwächung der Ozeanströmungen im Atlantik (Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation) beiträgt. Das Schmelzen des Meereises und des Grönländischen Eisschildes, sowie verstärkte Niederschläge und Flusseinträge schwächen den Salzgehalt im oberen Ozean. Diese Salzgehaltanomalien wandern mit den Meeresströmungen in den Nordatlantik und beeinflussen dort das Strömungssystem, das von Unterschieden in Salzgehalt und Temperatur angetrieben wird. Es ist sehr wichtig zu untersuchen, wie stark diese Abschwächung sein wird, denn die Atlantikströmungen beeinflussen unter anderem das milde Klima in West- und Nordeuropa, die Meeresspiegelhöhe in der Nordsee sowie auch Regenfälle in Afrika und Südamerika.

Was können wir aus den Klimaveränderungen heute und in der Vergangenheit über aktuelle und künftige Entwicklungen in den Polarregionen lernen?

Ein wichtiges Mittel, um die heutigen Klimaveränderungen zu verstehen, ist der Rückblick in die Erdgeschichte mit Hilfe von Eisbohrkernen. Erkenntnisse über vergangene Warmzeiten helfen, die zukünftigen Entwicklungen in den Polarregionen besser einzuschätzen. Zum Beispiel gab es während der letzten Warmzeit vor circa 125000 Jahren circa 25 Prozent weniger Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre als heute, aber es war in den Polarregionen deutlich wärmer. Der damalige starke Anstieg der atmosphärischen Kohlenstoffdioxid-Konzentration wird unter anderem mit einem Rückzug des Meereises erklärt.
Im Pliozän vor drei bis fünf Millionen Jahren war es mehrere Grad wärmer als heute, mit einer ausgeprägten Polaren Verstärkung. Dies ist vergleichbar mit Klimaszenarien für die nächsten hundert Jahre.
Diese Warmzeiten und ihre Ursachen sowie Verstärkungseffekte in den Polarregionen sind noch nicht ausreichend erforscht. Ihre Rekonstruktion und modellgestützte Interpretation liefert einen wichtigen Beitrag, um das Klimasystem in seiner Gesamtheit zu verstehen.

Aufgrund der harschen klimatischen Bedingungen in den Polarregionen ist es eine große Herausforderung, vor Ort Messungen durchzuführen. Vor allem ozeanische Prozesse sind mangels kritischer Messdaten im Winter kaum erforscht und in Klimamodellen unzureichend aufgelöst. Wichtige Beobachtungen zur Arktischen Verstärkung sind während der MOSAiC-Expedition und im Rahmen des (AC)³-Projekts gewonnen worden.

Forschungsarbeiten während der MOSAiC-Expedition. Bild: G. Spreen, Universität Bremen