Polare Biodiversitätsforschung in einer sich verändernden Umwelt

Der globale Klimawandel schreitet schnell voran, und dies ist vor allem in den Polarregionen zu spüren. Die Antarktische Halbinsel im Südlichen Ozean ist eine der sich am schnellsten erwärmenden Regionen der Welt, mit einem durchschnittlichen Anstieg der Lufttemperatur um 2-4 °C seit den 1950er Jahren. Der Anstieg der Meerestemperaturen führt zu Schwankungen in der regionalen Meereisausdehnung und zum Rückzug und Zusammenbruch von Schelfeis. Diese Umweltänderungen können starke Auswirkungen auf die Lebewesen haben. Während die Arten des Flachwassers und des Schelfs zuerst betroffen sind, werden auch die Organismen der Tiefsee in Mitleidenschaft gezogen, wenn auch mit einiger Verzögerung. Zum Beispiel setzt schmelzendes Meereis Eisalgen frei und erhöht die Lichtmenge, die in die Wassersäule eindringt, was eine Phytoplanktonblüte auslöst. Abgestorbene Algen sinken zum Meeresboden und werden dort von Tiefseeorganismen konsumiert. Letztendlich wird dadurch also die Nahrungsverfügbarkeit der am Meeresboden lebenden Arten (Benthos) erhöht. Die Auswirkungen auf das Leben in der Tiefsee sind aber bisher noch größtenteils unbekannt.
Polare benthische Arten sind im Vergleich zu Organismen aus anderen Regionen aufgrund ihrer besonderen Anpassungen an extrem kalte Umgebungen besonders anfällig für Temperaturschwankungen. Als Antwort auf klimatische Veränderungen, können Arten dabei unterschiedliche Reaktionen zeigen:
Sie können sich anpassen.
Sie können in tiefere Gewässer oder in andere Regionen abwandern, um dort günstigere Bedingungen vorzufinden. Dazu können sie ihr Verbreitungsgebiet entweder erweitern oder verlagern.
Im schlimmsten Fall könnten sie ihre Lebensräume verlieren und schließlich aussterben.
Da unser Wissen über das Tiefseebenthos noch sehr begrenzt ist, könnten viele Arten aussterben, noch bevor sie entdeckt werden. Um die potenziellen ökologischen Auswirkungen des Klimawandels in der Zukunft vorhersagen zu können, ist es wichtig, unser Wissen über die Zusammensetzung und Verteilung der polaren benthischen Lebensgemeinschaften und ihre Wechselwirkungen mit den abiotischen Umweltfaktoren zu verbessern.
Wir kombinieren daher verschiedene Methoden, von der Beprobung bislang unbekannter Gebiete über die Digitalisierung von Biodiversitätsdaten in frei zugänglichen Datenbanken bis hin zur Anwendung von Methoden der Biodiversitätsinformatik, um Wissenslücken und Biodiversitätsmuster aufzudecken.

Forschungsziele

  • Erweiterung des Wissens über die Struktur, die Häufigkeit und die biologische Vielfalt der benthischen Fauna in den Polarregionen.
  • Digitalisierung der biologischen Daten aus den Probenahmen in frei zugänglichen Datenbanken, um die Wissenslücken zu schließen.
  • Bewertung der Umweltvariablen, die die biologische Vielfalt und Abundanz der benthischen Fauna in den oben genannten Gebieten beeinflussen.
  • Abschätzung der Veränderungen in der Verbreitung von Tiefseearten aufgrund veränderter Umweltbedingungen.

Methoden

  • Sortierung der in den Polarregionen gesammelten Sedimentproben und Identifizierung der benthischen Fauna bis auf Artniveau mit Hilfe integrativer morphologischer und molekularer Methoden
  • Messung und Analyse von Umweltvariablen in den Probenahmegebieten.
  • Data Mining von benthischen Arten aus den Polarregionen zur Ergänzung des bestehenden Datensatzes aus der Feldarbeit.
  • Statistische Analysen und Modellierung zur Bewertung des Einflusses von Umweltvariablen auf die benthische polare Fauna und zur Vorhersage der künftigen Auswirkungen auf ihre biologische Vielfalt und Verbreitung.

Verantwortliche

Prof. Dr. Angelika Brandt, Leiterin der Abteilung Marine Zoologie, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturkundemuseum, Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt

Projekte mit unserer Beteiligung

(PS118) Larsen-C PEARL – Der Einfluss der Larsen-C Eisbedeckung auf makrobenthische peracaride Krustentiergemeinschaften auf dem antarktischen Schelf.

Vergleiche der Larsen-C-Assemblagen mit denen aus dem saisonal eisbedeckten Filchner-Trog und den eisfreien Süd-Orkney-Inseln

Am 12. Juli 2017 kalbte das Larsen-C-Schelfeis den größten jemals aufgezeichneten Eisberg, der von der Antarktischen Halbinsel stammt. Ziel des Larsen-C PEARL-Projekts war es, makrobenthische peracaride Krustentiere zu untersuchen, die unter dem Schelfeis leben, und ihre Artenvielfalt und -zusammensetzung mit denen zu vergleichen, die im tiefen Weddellmeer leben. Während der Expedition PS118 war es jedoch aufgrund des starken Eises nicht möglich, Larsen-C zu erreichen, weshalb neue wissenschaftliche Fragen gestellt wurden. Letztere zielten darauf ab, den Einfluss des Meereises und anderer Umweltvariablen auf benthische Perakariden zu untersuchen, indem Gebiete mit unterschiedlicher Eisbedeckung verglichen wurden.

IceAGE – Isländische Tiere: Genetik und Ökologie

Das internationale IceAge-Projekt wurde ins Leben gerufen, um die biologische Vielfalt der wirbellosen Meerestiere in einer Vielzahl von Lebensräumen rund um Island zu untersuchen – von Kaltwasserkorallenriffen, hydrothermalen Schloten und Gebirgskämmen bis hin zu den Abyssal-Ebenen. Im nördlichsten Teil des Nordatlantiks und des Nordmeers gelegen, bildet die Region um Island und die angrenzenden Gewässer ein Grenzgebiet, dessen Fauna klimabedingten Veränderungen besonders ausgesetzt ist. Im IceAge-Projekt wird eine Vielzahl von Instrumenten und Methoden eingesetzt, um die verschiedenen Facetten der isländischen Artenvielfalt sowie die Faktoren und Prozesse zu untersuchen, die sie moduliert haben. Zu diesem Zweck werden klassische taxonomische Methoden mit modernen Aspekten der Biodiversitätsforschung, insbesondere der Phylogeographie (Populationsgenetik und DNA-Barcoding), sowie der ökologischen Modellierung kombiniert.

Beneficial: Biogeographie der Tiefseefauna des NW-Pazifiks und ihre möglichen zukünftigen Invasionen in den Arktischen Ozean

Ziel des Beneficial-Projekts ist es, eine solide biogeografische Basisstudie des NW-Pazifiks zu erstellen, die neben frei zugänglichen Daten auch unsere verfügbaren Daten aus dem Japanischen Meer, dem Ochotskischen Meer, dem Kuril-Kamtschatka-Graben (KKT), dem Aleutengraben (AT), dem südwestlichen Beringmeer und der offenen Tiefseeebene des NW-Pazifiks umfasst. Wir haben eine große Menge an Daten auf offenen Portalen digitalisiert und das Wissen über die Tiefsee im Nordwestpazifik versechsfacht. Wir haben ein neuartiges Buch über die Biogeographie der NW-Pazifik-Fauna zusammengestellt, und wir haben auch Informationen über sehr häufige Schlüsselarten geliefert, die in Zukunft unter abnehmenden Meereisbedingungen möglicherweise in den Arktischen Ozean eindringen könnten. Somit werden unsere Daten für die Bewertung des Zustands und der Qualität des arktischen Meeresökosystems in einer sich verändernden Umwelt “nützlich” sein.

(SO293) AleutBIO – Deutsch-russische Tiefsee-Biodiversitätsstudien im Aleutengraben und im östlichen Kuril-Kamtchatka-Graben

Ziel des Projektes ist es, die systematische Zusammensetzung, die Artenvielfalt, die Biogeographie und die Evolution der benthischen Fauna aller Größenklassen (Meio-, Makro- und Megafauna) in der Beringsee und im östlichen Aleutengraben zu untersuchen. Darüber hinaus ist geplant, die im östlichen Aleutengraben gesammelten Proben mit denen aus dem Kuril-Kamtschatka-Graben zu vergleichen, um die Verbindung zwischen den beiden Gebieten zu untersuchen und ihre Vielfalt und Artenzusammensetzung zu vergleichen. Um diese Ziele zu erreichen, wird eine Vielzahl von Techniken eingesetzt. So werden beispielsweise molekulare Methoden eingesetzt, um die Phylogeographie und Phylogenie benthischer Arten zu untersuchen, während biogeochemische und mikrobiologische Analysen zur Charakterisierung der Untersuchungsgebiete verwendet werden.