Forschung in der Sektion Bentho-Pelagische Prozesse

Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven

Auf polaren Meeresböden (Benthos) stellen große Korallen und Schwämme (Makrofauna) den Lebensraum für eine artenreiche Gemeinschaft bereit, die noch weitgehend unerforscht ist. Bisher ist noch unbekannt, was die Struktur und Dynamik polarer Tiergemeinschaften in ihrer natürlichen Umgebung beeinflusst, und welchen Einfluss der Klimawandel darauf hat.
Im Fokus unserer Forschung steht die Beantwortung der Frage, welche Rolle Umweltveränderungen (Bottom-up-Prozesse) gegenüber natürlichen Prozessen wie beispielsweise Fraßdruck durch Fische und Robben (Top-down-Prozesse) bei der Strukturierung von Gemeinschaften spielen. Für Beobachtungen der Makrofauna und der dort lebenden Tiergemeinschaften kombinieren wir traditionelle Methoden der Probennahme mit neuartigen Instrumenten. Unser geographischer Schwerpunkt ist dabei das Weddellmeer mit den dramatischen Schelfeis-Abbrüchen entlang der sich rasch erwärmenden Antarktischen Halbinsel und den langsameren Veränderungen im östlichen Weddellmeer. Zudem forschen wir in den patagonischen Fjorden Chiles. Der Ursprung vieler Organismen, z.B. der von Kaltwasserkorallen in der Tiefsee, ermöglicht es uns, diese Tiere sowohl in der Antarktis, als auch nördlich der Drake Passage anzutreffen. Studien der Organismen in den patagonischen Fjorden erlauben daher Rückschlüsse auf ihre Artverwandten in der Antarktis.

Forschungsziele

  • Langfristiges Ziel der Sektion Bentho-Pelagische Prozesse (BPP) ist es, die Struktur und Funktion polarer makrobenthischer Organismen, ihre Interaktion mit dem pelagischen System und ihre Anfälligkeit für natürliche Störungen und den Klimawandel zu quantifizieren. Ein mechanistisches Verständnis der bentho-pelagischen Prozesse kann als wichtige Grundlage für die Modellierung der biologischen Reaktionen auf den polaren Klimawandel dienen.
  • Obwohl davon ausgegangen wird, dass die Rückbildung von Schelfeisen, das zunehmende Kalben von Eisbergen und die Veränderung der saisonalen Packeisbedeckung bedeutende Auswirkungen auf das antarktische Benthos haben werden, fehlen derzeit noch zuverlässige Daten über die benthische Produktivität und den Stoffkreislauf. Diese Lücke wollen wir schließen, um die Dynamik der antarktischen benthischen Gemeinschaften und ihre ökologischen Funktionen besser zu verstehen. Dazu führen wir mit fortschrittlichen Unterwassertechnologien erstmals direkte Messungen an wichtigen Prozessvariablen in situ durch. Während der Schwerpunkt auf den Schwämmen und Korallen liegt, die als große Skelett-bildende Filtrierer anderen Organismen wichtigen Lebensraum bieten, untersuchen wir auch mobile „Wächterarten“ für den Klimawandel wie Fische und Robben, die als Spitzenkonsumenten eine wichtige Rolle im antarktischen Ökosystem spielen.
  • Mittelfristiges Ziel der Sektion BPP ist es, Ergebnisse aus Untersuchungen zu biologischen Strukturen und Prozessen so zu kombinieren, dass wir die Reaktionen auf den antarktischen Klimawandel besser verstehen.

Methoden

Nahezu alles was wir über das Leben im Ozean wissen, resultiert aus Probennahmen mit pelagischen Netzen, Flaschen, Greifern oder Grundschleppnetzfängen. Wenngleich diese Methoden wertvolles Probenmaterial, beispielsweise für Biodiversitätsuntersuchungen oder experimentelle Studien liefern, sind sie doch nicht in der Lage, die räumliche Struktur und Funktion der Lebensgemeinschaften abzubilden. Sie reduzieren die beprobten Meereslandschaften an Deck zu einem Haufen unsortierten Durcheinanders. Der Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte erlaubt faszinierende Einblicke in die marine Biologie. Kabelgebundene Instrumente und Observatorien ermöglichen nun, die Lebensgemeinschaften in ihrer natürlichen Umgebung und ihrem natürlichen Zustand störungsfrei zu untersuchen:

  • mit Kameras und Sensoreinheiten ausgestattete Remotely Operated Vehicles (ROVs) liefern hoch aufgelöste Bilder vom Plankton und den Lebensgemeinschaften am Meeresboden in deren dynamischer Umgebung,
  • die Eddy Covariance-Methode erlaubt eine kontinuierliche und nicht-invasive Bestimmung benthischer Flüsse von Sauerstoff, Partikeln und Wärme in benthischen Grenzschichten,
  • Probennahmen am Meeresboden und in der darüber liegenden Wassersäule mit Hilfe von Multicorern und Kranzwasserschöpfern sind für die wissenschaftliche Arbeit der Sektion BPP essentiell,
  • Messungen mit Mikrosensoren erlauben Einblicke in unmittelbare physiologische Prozesse und helfen dabei mögliche Mechanismen zur Anpassung an zukünftige Klimabedingungen zu verstehen,
  • Das Forschungstauchen ermöglicht eine ungestörte Beobachtung, umweltschonende Beprobung, die gezielte Erhebung von Messdaten und die Durchführung von Experimenten unter Wasser.
  • Der Einsatz von Biologging-Geräten und Satellitentransmittern ermöglicht Untersuchungen der marinen Umwelt aus der Perspektive von Meeressäugern.

Diese Werkzeuge werden von BPP-Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern angewendet und verfeinert, um diejenigen Faktoren zu verstehen, die antarktische Lebensgemeinschaften in einer Ära des Klimawandels steuern, und um die Rolle der antarktischen Gemeinschaften in geochemischen Kreisläufen zu bestimmen.

Verantwortlicher

Prof. Dr. Claudio Richter, Bentho-Pelagische Prozesse, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven

Projekte

Projekte in der Sektion Bentho-Pelagische Prozesse finden Sie hier